Mord an Shlomo Lewin: Mit Blindheit geschlagen

Für Sachsen relevant, weil Karl-Heinz Hoffmann Grundstücke in Sachsen hatte und immer wieder bei Neonazis auftaucht: -> https://gamma.noblogs.org/archives/747. / https://www.inventati.org/leipzig/?p=4852


Für den Mord an dem jüdischen Rabbiner Shlomo Lewin und dessen Partnerin wurde nie jemand zur Rechenschaft gezogen. Neue Recherchen zeigen: Die Geheimdienste hatten früh Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund – und verschwiegen sie.

Am 19. Dezember 1980 um 19 Uhr werden der Rabbiner Shlomo Lewin und seine Partnerin Frida Poeschke in ihrem Bungalow in Erlangen erschossen. Am Tatort bleiben neben den Patronenhülsen verbogene Metallteile und eine Sonnenbrille zurück. Vermutlich war der Todesschütze Uwe Behrendt, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann. Vermutlich, denn aufgeklärt sind weder der Tathergang noch die Hintergründe.

Bis heute gelten die Morde trotz etlicher Widersprüche als die Tat eines Einzelnen. Behrendt konnte nach dem Mord in den Libanon fliehen, erst spät ermittelte die Polizei in Richtung der Wehrsportgruppe. Nun ist ein bislang unbekanntes, als geheim eingestuftes Dokument des Bayerischen Verfassungsschutzes aufgetaucht, das belegt, dass der Geheimdienst einen V-Mann im unmittelbaren Umfeld des Täters führte – und wohl über die Mordvorbereitungen unterrichtet war. Wären die Ermittlungen anders gelaufen, wenn die Nachrichtendienstler ihr Wissen mit der Polizei geteilt hätten? Hätte sich der Doppelmord umfassend aufklären lassen?

Das Jahr 1980 war ein blutiger Höhepunkt in der Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus. In keinem Jahr töteten und verletzten rechte Terroristen mehr Menschen. Zum katastrophalen Oktoberfest-Attentat gibt es bis heute – wie beim Erlanger Doppelmord – zahlreiche offene Fragen. Im Zentrum der Aufklärung des Anschlags auf den Rabbiner und seine Partnerin steht, wieder einmal, ein V-Mann.

V-Leute sind Informantinnen oder Informanten des Geheimdienstes. Dass im Umfeld der rechtsradikalen Taten V-Leute eine Rolle gespielt haben, ist kein Geheimnis. Über 300 Quellenmeldungen, also Berichte von Spitzeln, mit Bezug zur Wehrsportgruppe Hoffmann gab es; wie das Bundesamt für Verfassungsschutz nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2017 einräumen musste. Unter diesen Berichten waren sowohl die Meldungen eigener V-Leute als auch die von unterschiedlichen Landesämtern. In den 1970er-Jahren war die WSG Hoffmann die bedeutendste Struktur des westdeutschen militanten Neonazismus. (Ein Mitglied lebt wohl in Plauen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/178468/index.html)

In ihren Hoch-Zeiten verfügte sie über 600 Mitglieder und organisierte neben Wehrsportübungen und Schutz von rechtsextremen Veranstaltungen auch einen Kongress von Holocaust-Leugnern. Im Januar 1980 vom damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum verboten, verlegte der Chef und Namenspatron Karl-Heinz Hoffmann die Wehrsportgruppe in den Libanon. Zum Führungszirkel zählte neben Hoffmann und seiner Partnerin Franziska Birkmann auch Uwe Behrendt. Gundolf Köhler, der die Bombe auf dem Oktoberfest deponierte, nahm an Übungen der Truppe teil.

Eine der geheimen Quellenmeldungen liegt den Autoren dieses Artikels nun vor. Sie ist Teil eines Schreibens des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz an das Bundesamt für Verfassungsschutz anlässlich des Fundes einer Rohrbombe im Februar 1981 in Bonn. Die bayerischen Geheimdienstler bitten darin um Zusendung von Bildern der Bombe, um diese ihren Quellen zum Abgleich vorlegen zu können. Warum sie sich davon Erfolg versprechen, erklärt die beigefügte Meldung. Darin berichtet der V-Mann von einem Besuch bei Hoffmann, Birkmann und Behrendt, die zu diesem Zeitpunkt gemeinsam in einem Schloss nahe Erlangen lebten. In der Küche des Schlosses Ermreuth traf der Informant am 13. Dezember 1980 auf die drei, die gerade dabei waren, Metallrohre zurechtzusägen. Insbesondere Hoffmann soll durch große Vorsicht aufgefallen sein, Fingerabdrücke auf dem Material zu vermeiden.

In der besagten Quellenmeldung ist der Name des V-Mannes geschwärzt. Mithilfe anderer Akten ist es allerdings möglich, ihn zu identifizieren. Die Geschichte des Besuches im Winter 1980 findet sich nämlich in einem Urteil des Landgerichtes Nürnberg-Fürth von 1986, das Hoffmann und Birkmann von jeder Schuld an den Morden freisprach. Darin ist der Name jenes Mannes zu lesen, der im Dezember 1980 zu Besuch in der Küche war. Es handelt sich um Franz Lippert – ein langjähriger Vertrauter von Hoffmann und von diesem mit der Verwaltung der Spendenkartei des Freundeskreises der Wehrsportgruppe betraut.

Die Episode in der Schlossküche nimmt im Urteil deshalb eine zentrale Stelle ein, weil das Gericht davon ausgeht, dass Hoffmann, Birkmann und Behrendt damit beschäftigt waren, einen Schalldämpfer zu bauen. Auch bei dem sechs Tage darauf verübten Doppelmord wurde ein selbst gebauter Schalldämpfer genutzt. Kaum zu fassen ist, dass das Gericht Hoffmanns Behauptungen folgte, bei dem Schalldämpfer aus der Schlossküche habe es sich um einen Prototyp für eine mögliche Serienproduktion im Libanon gehandelt und Behrendt habe den Mord ohne Hoffmanns Wissen und Zutun mit einem anderen, ebenfalls selbst gebauten Schalldämpfer verübt.

Auch an anderen Stellen legte das Gericht potenziell belastende Umstände stets zugunsten der Angeklagten aus und folgte damit bereitwillig Hoffmans Prozessstrategie. Eine am Tatort gefundene Sonnenbrille von Franziska Birkmann, die Verwendung einer Tatwaffe aus dem Schloss Ermreuth und die Auswahl des Rabbiners Lewin als Ziel, der seit Jahren als Gegner Hoffmanns galt, konnten das Gericht nicht überzeugen. Dazu kamen Aussagen von WSG-Mitgliedern, Hoffmann habe versucht, sie für den Mord zu rekrutieren, und Behrendt, der für seine absolute Ergebenheit Hoffmann gegenüber bekannt war, habe die Tat schließlich begangen.

„Die Kammer hat sich bei den Sachverhaltsfeststellungen im Wesentlichen an die Einlassung des Angeklagten Hoffmann gehalten“, heißt es im Urteil. Diese Einlassungen nahmen einen großen Teil der insgesamt 186 Prozesstage ein und folgten oft demselben Muster: Hoffmann räumte nur ein, was sich nicht leugnen ließ, passte seine Aussagen immer wieder an und präsentierte belastende Umstände als Belege seiner Unschuld. Wenn er einen Mord geplant hätte, hätte er nicht diese Sonnenbrille, nicht diese Tatwaffe und nicht dieses Opfer ausgewählt, weil er dafür zu intelligent sei.

Auch konnte die Rolle von Franz Lippert, der damals noch nicht als V-Mann geoutet worden war, im Prozess nicht geklärt werden. In seiner Vernehmung vor dem Nürnberger Landgericht verweigerte er auf die Frage, ob er für den Verfassungsschutz tätig gewesen sei, die Antwort und konnte weder durch die Androhung von Ordnungsgeld noch durch Beugehaft dazu bewegt werden, Angaben zu machen. Schließlich attestierte Lipperts Arzt eine Herzkrankheit, die weitere Vernehmungen unmöglich mache.

Bedeutend ist Lipperts Meldung an den Verfassungsschutz aus mehreren Gründen. Zwar ist der Bericht nicht datiert, sein Besuch fand jedoch eine Woche vor den Morden statt, und in der Regel übermitteln V-Leute ihre Treffberichte zeitnah. Es ist also davon auszugehen, dass dem bayerischen Geheimdienst die Informationen zur Tatvorbereitung schon vor dem Doppelmord vorlagen. Damals, im Dezember 1980, hätte der Verfassungsschutz davon ausgehen können, ja müssen, dass es sich um Vorbereitungen für die Morde gehandelt hatte – Hoffmanns hanebüchene Erklärung, dass es sich um einen Prototyp für eine Serienproduktion von Schalldämpfern im Libanon handele, war damals noch nicht bekannt

Entscheidende Fragen wurden im Prozess nicht gestellt

In die Ermittlungen floss der Hinweis allerdings nicht ein – obwohl die Ermittler schon kurz nach den Morden vermuteten, dass bei der Tat ein Schalldämpfer verwendet worden war. Das Argument des Quellenschutzes greift hier nicht: Die Aufklärung eines Doppelmordes hätte in jedem Fall Priorität gehabt, zumal der Hinweis des V-Manns auch weitergeleitet hätte werden können, ohne dessen Identität zu enthüllen.

Und selbst wenn die Verfassungsschützer Lipperts Bericht nicht in Zusammenhang mit den Morden betrachtet haben sollten, wäre ein weiterer Kontext mehr als naheliegend gewesen: Zu diesem Zeitpunkt ging die Polizei auch der Frage nach, welche Rolle Karl-Heinz Hoffmann beim Anschlag auf das Oktoberfest zwei Monate zuvor gespielt hatte. Immerhin wurde bei ihm im Zuge einer Durchsuchung eine detaillierte Anleitung zum Bau von Rohrbomben gefunden.

Doch in keiner der beiden Ermittlungen löste der Bericht Lipperts aus, was nötig gewesen wäre: eine erneute und gründliche Durchsuchung des Schlosses und eine zügige Befragung Hoffmanns. Vernommen wurde Hoffmanns Partnerin Franziska Birkmann erst im Februar 1981, Hoffmann selbst noch später, im April 1981.

Und erst ein halbes Jahr nach dem Doppelmord von Erlangen wurden die Räume Hoffmanns abermals durchsucht; dabei wurde eine zündfertige TNT-Bombe gefunden. Statt zügig ins Blickfeld der Ermittler zu rücken, konnten Hoffmann und Behrendt Spuren vernichten und in den Libanon ausreisen. Dort soll sich Behrendt nach Aussagen anderer WSG-Mitglieder später das Leben genommen haben. Zuvor wurde das WSG-Mitglied Kay-Uwe Bergmann von seinen Kameraden zu Tode gefoltert. Seine Leiche wurde nie gefunden, und die Umstände seines Todes wurden nie geklärt. Mehrere Aussagen belasten Behrendt – und Hoffmann. Unklar ist, ob Behrendt nach seiner Flucht in den Libanon noch einmal nach Europa zurückkehrte, um einen weiteren Mord zu begehen. Auch hierzu gibt es Aussagen von WSG-Mitgliedern.

Der erste Strafprozess in der Geschichte der Bundesrepublik, in dem ein antisemitischer Mord aufgeklärt werden sollte, endete, ohne dass irgendjemand dafür zur Verantwortung gezogen wurde. Das Wissen des Bayerischen Verfassungsschutzes hätte zu einem anderen Ausgang führen können. Aber ohne das Geheimwissen der Nachrichtendienstler wurden entscheidende Fragen nicht gestellt und wichtige Ermittlungsschritte nicht gegangen. „Es hat den Anschein, als seien die Ermittler in diesem Mordfall mit Blindheit geschlagen gewesen“, urteilte der Spiegel.

Einiges spricht dafür, dass im Dezember 1980 im Schloss Ermreuth vom harten Kern der Wehrsportgruppe Hoffmann jener Schalldämpfer gebaut wurde, der später beim Doppelmord von Erlangen eingesetzt wurde. Aber von den zentralen Spuren sind viele verwischt, die Tatwaffe ist bis heute verschwunden. Auch mehr als vierzig Jahre nach der Tat von Erlangen bleiben deshalb wichtige Aspekte ungeklärt. Wer tötete Shlomo Lewin und Frida Poeschke?

Wer war in den Tatplan eingeweiht – und wie starb der mutmaßliche Mörder Uwe Behrendt im Libanon? Hoffmann, inzwischen 85 Jahre alt, hält bis heute an seiner Version fest. 2015 veröffentlichte er auf seinem Blog einen Artikel zum Doppelmord, in dem er behauptete, „dass dem Attentat kein rechtsextremistisches Motiv zu Grunde lag“. Behrendt habe „aus eigenem Entschluss heraus in eigener Verantwortung gehandelt“.

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz will die Quellenmeldung und deren Bedeutung auf Anfrage nicht kommentieren und verweist auf das Bayerische Hauptstaatsarchiv, an das sämtliche Akten zu den Erlanger Morden, also auch die Meldungen der V-Leute abgegeben wurden. Allerdings würden „hinsichtlich sensibler personenbezogener Daten“ gegebenenfalls Schutzfristen „einer Benützung entgegenstehen“. Meldungen von V-Leuten bleiben in der Regel weiterhin unter Verschluss.

Der nun aufgetauchte Quellenbericht zeigt, dass in behördlichen Archiven noch immer aufschlussreiche Akten lagern, die der Öffentlichkeit bislang nicht zugänglich sind. Doch nicht einmal die Bundesanwaltschaft schien sich im Zuge der 2015 wieder aufgenommenen und 2020 erfolglos eingestellten Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat, im Rahmen derer auch die Zeit der Wehrsportgruppe im Libanon untersucht wurde, sonderlich für die Rolle der V-Leute zu interessieren.

Nicht ein einziger V-Mann-Führer wurde vernommen, und in nur einem einzigen Fall wurde die Identität eines V-Mannes offengelegt. Auch auf der politischen Ebene wurde es versäumt, die Aufklärung der Morde voranzubringen. Trotz der offensichtlichen Ermittlungsfehler wurde nie ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Dabei zeigt die nun aufgetauchte Quellenmeldung des V-Mannes Franz Lippert, dass die Aufklärung des Doppelmords von Erlangen noch immer nicht abgeschlossen ist. Mord verjährt nicht.